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§ 1

Innerlich war ich wohl der ruhigste von allen. Wenn der Augenblick der Gefahr da ist, hat jede vorher etwa vorhandene Bangigkeit aufzuhören, sonst ist man verloren.

Kapitel 1   [Seite 60]


§ 2

¶  »Du bist ein Teufel, ja, du bist der richtige und wirkliche Scheitan!« rief er [Abd Asl] jetzt in seinem grimmigsten Tone aus. »Gehört hast du nichts; das weiß ich genau; dennoch bist du von allem unterrichtet, und das kann nur die Folge davon sein, daß du mit der Hölle im Bunde stehst!« 

[Kara Ben Nemsi:]  »Oder mit Allah. Du bist ein schauderhafter Bösewicht; also kann die Macht, welche mir gegen dich beisteht, keine böse, sondern sie muß eine gute sein. [...]«  ¶

[92]


§ 3

¶  »[...] Ein Mahdi, welcher den Erdkreis erobern will, müßte die Summe aller gegenwärtigen europäischen Bildung nicht nur in sich tragen, sondern dieselbe sogar noch überragen. [...]«  ¶

Kara Ben Nemsi zu Fakir el Fukara   [100]


§ 4

¶  Ich sagte das in einem so zuversichtlichen Tone, daß sein [Ibn Asls] vorher so finsteres Gesicht sich zu einem Lächeln verzog und er kopfschüttelnd sagte: 

»Amm Selad 1, einen Mann wie du bist, habe ich noch nicht gesehen. Du bist außerordentlich keck; [...¶ »] Was soeben geschehen ist, habe ich wirklich noch nicht erlebt. Entweder bist du ein leichtsinniger Spaßvogel oder ein vielerfahrener Händler 1.2.« 

»Das erstere nicht, sondern das letztere,« antwortete ich. »Ich bin durch viele Gefahren gegangen und fürchte mich nicht [...]«  ¶

Kap. 2   [122]


§ 5

¶  Aber was würde Ibn Asl sagen, wenn er früh bemerkte, daß die Fässer leer seien 2? Mir gleichgültig! Ich durfte nicht an mich denken und mußte es eben darauf aufkommen lassen, daß ich für den Thäter gehalten wurde.

[...]

Das Herz war mir unendlich leicht. Ich hatte vielen Menschen das Leben erhalten und einen Bubenstreich verhütet, wie er nichtswürdiger gar nicht gedacht werden kann. Aber die Folgen für mich! Nun, die konnte ich unter den gegebenen Umständen nicht von mir abwenden und mußte eben ruhig warten, was geschehen werde. Die Aufregung, in welcher ich mich denn doch befunden hatte, legte sich, und ich schlief ein.  ¶

[135f]


§ 6

¶  Der Mann kannte mich ganz gewiß noch; er mußte mich ja kennen, zumal ich sehr oft die Erfahrung gemacht hatte, daß mein Gesicht ein solches ist, welches man nicht so leicht und rasch vergißt. Ich war von Leuten, welche mich nur einmal und ganz vorübergehend gesehen hatten, noch nach Jahren sofort wieder erkannt worden.

[145]


§ 7

Dann rief Ibn Asl aus: 

»Soll man es wirklich glauben! Den Löwen von El Teitel hast du getötet, Effendi?« 

»Wie du gehört hast!« 

»Dann hast du es gethan, weil du nicht wußtest, was du dabei wagtest!« 

»Mein Leben wagte ich. Was sonst?« 

»Ist das nicht genug? Kann ein Mensch mehr verlieren als sein Leben?« 

»Jawohl, viel, viel mehr.« 

»Was?« 

»Das, was du schon längst verloren hast, nämlich die Ehre, den guten Namen, das Wohlgefallen bei Gott und den Menschen.« 

»Effendi!« brauste er auf. »Denke ja nicht, daß ich plötzlich langmütig geworden bin! Bedenke, daß ich jetzt dein Herr und Besitzer bin! Dein Leben steht in meiner Hand! 3«  ¶

[170]


§ 8

¶  »Welch eine Verwegenheit!« lachte er [Ibn Asl] höhnisch grimmig auf. »Dieser Giaur befindet sich in unserer Gewalt und redet genau so, als ob er uns Befehle erteilen könne! – Warum erhebe ich nicht die Hand, um dich zu zerschmettern!« 4 

[Kara Ben Nemsi:]  »Weil du nicht kannst; sie ist dir gebunden. Sterbe ich, so stirbt dein Vater [Abd Asl] auch, und zwar vielleicht eines schlimmeren Todes als ich.«  ¶

[171]


§ 9

Hätte ich ihn [Ibn Asl] gefaßt und mit in die Kajüte, neben welcher wir uns befanden, gerissen, so wäre ich sein Herr gewesen und hätte ihm diktieren können, was mir beliebte. Aber ich hatte mein Wort gegeben und mußte es halten, obgleich ich überzeugt war, daß jeder dieser Menschen, von Ibn Asl an bis zum letzten seiner Leute herunter, nicht gezaudert hätte, mir den heiligsten Schwur zu brechen.  ¶

[173]


§ 10

¶  »[...] Giebt es einen unter deinen Kameraden, einen recht bösen, schlechten Halunken, den du nicht leiden magst?« 

»O, mehrere!« 

»Könntest du es nicht so einrichten, daß ein solcher Kerl nach dir die Wache bekommt?« 

»Wenn ich es schlau genug anfange, kann ich es vielleicht fertig bringen.« 

»Versuche es wenigstens! Je schlimmer dieser Mensch, desto lieber ist es mir, da er, wenn uns die Flucht gelingt, jedenfalls bestraft wird. [...]«  ¶

Kara Ben Nemsis, des Gefangenen, Gespräche mit seinem Bewacher   [180f]


§ 11

¶  Die drei Kerls hatten aus Leibeskräften gebrüllt. Jetzt lagen sie lautlos da. Unten antwortete man. Es schrie, wer schreien konnte. Natürlich eilte man herbei; in wenigen Augenblicken konnte es zu spät für mich sein.

[191]


§ 12

¶  Wir hielten auf die Stelle zu. Die Ranken hingen viel höher über uns, als es vorhin den 5 Anschein gehabt hatte. Wir kamen ganz leicht hindurch, und plötzlich lag der Wald hinter uns, der offene Fluß vor uns und der mit Sternen übersäte Himmel über uns.  ¶

[194]


§ 13

¶   [Abu en Nil:]  »Das kann er [Kara Ben Nemsi] nicht!« 

[Ben Nil:]  »Zweifle doch nicht daran! Er kann alles, was er will.« 

»Wenigstens will ich nur das, was ich kann,« bemerkte ich.

[197]


§ 14

¶  Seine [Reïs Effendinas] Freude war eine ebenso große wie aufrichtige; sie ehrte mich, weil sie mich beglückte. 6

Kap. 3 (›Am Sumpf des Fiebers‹)   [203]


§ 15

¶  »[...] Aber ich beabsichtige etwas ganz anderes. Ich habe schon sehr oft durch List sehr leicht und sehr vollständig erreicht, was mir bei Anwendung aller Gewalt nicht gelungen wäre. Du selbst hast Beispiele davon erlebt. [...] Es erleichtert den Sieg ganz bedeutend, wenn man den Kampfplatz genau kennt. Versteht es ein Feldherr, den Feind nach dem Platze zu locken, wo schon alles zum Empfange des Gegners vorbereitet ist, so ist ihm der Sieg selbst bei ungleichen Kräften beinahe sicher. [...]«  ¶

Kara Ben Nemsi zu Reïs Effendina   [209]


§ 16

¶  »Wie willst du den Mann [Ibn Asl] dorthin locken?« 

»Daß ich ihn sicher hinlocken werde, weiß ich ganz genau; die Art kenne ich selbst noch nicht; der Augenblick wird sie ergeben. [...]« 

[...]

»Du weißt aber noch nicht, wie du es anfangen wirst, ihn in die Falle zu locken.« 

»Bis soeben wußte ich es noch nicht; nun aber ist mir ein Gedanke gekommen. [...]« 

»Ja, gewiß! Ich denke, daß diese Berechnung dich nicht trügen wird. Aber wie willst du ihn verleiten, dort eine Stellung einzunehmen, welche uns den Sieg sichert?« 

»Das wird der Augenblick ergeben. [...]«  ¶

Reïs Effendina & Kara Ben Nemsi   [211+213]


§ 17

¶  »[...] Einen Hinterhalt wird er [Ibn Asl] mir natürlich legen, zumal er mehr als ausreichend Zeit dazu hat; aber da ich dies weiß, liegt in diesem Umstande gar keine Gefahr für mich. Weiß man, daß an einer gewißen Stelle eine Mine liegt, so geht man entweder nicht hin oder sorgt dafür, daß sie vorzeitig zur Explosion gelangt. Dann kann sie keinen Schaden machen.*6.2 [...]«  ¶

Kara Ben Nemsi   [215]


§ 18

Später wurde die Fährte bedeutend undeutlicher, doch konnte ich sie noch leidlich unterscheiden, wenn Ben Nil sich auch vergebliche Mühe gab, sie zu entdecken.  ¶

[225]


§ 19

¶  »Du wirst bald anders denken und anders sagen. Wenn du erfährst, welche Macht mir gegeben ist, wirst du mich um Gnade anwinseln!« 

»Zunächst besitze ich die Macht, und zwar über dich. Ueber wen du später Macht ausüben wirst, ob über deinen Harem oder auch wohl über deine Hunde, das ist mir gleichgültig. Und nun schweig, sonst kommt die Peitsche über dich. [...]«  ¶

Fakir el Fukara (= der »Mahdi«) & Kara Ben Nemsi   [229]


§ 20

¶  »[...] Daß der ehrliche Mann stets gescheiter ist und weiser handelt als der Verbrecher, das könnt und wollt ihr nicht eher glauben, als bis es euch zu eurem Schaden bewiesen wird. [...]«  ¶

Kara Ben Nemsi   [251]


§ 21

¶  »[...] Sobald er [Ibn Asl 7] nahe genug ist, zielst du auf sein Kamel und schießest es nieder.« 

»Warum nicht ihn?« 

»Er mag noch so schlecht sein, bleibt aber doch ein Mensch. Und sein Kamel ist zwar kostbar, aber doch nur ein Tier.7.2 Es wird stürzen; er springt auf, um zu fliehen, und du steigst schnell in den Sattel. Dann haben wir ihn zwischen uns, denn du bist vor und ich bin hinter ihm; er muß sich ergeben.«  ¶

Kara Ben Nemsi & Ben Nil   [275f]


§ 22

[...]; ich hielt ihn [Ibn Asl] nicht für klug genug, mir eine solche Berechnung zuzutrauen; [...]

[277]


§ 23

¶  »[...] Denn sieh die Gefangenen, und zähle sie! Hundertsechzig Sklavenjäger! Ist jemals so ein Fang gemacht worden, Effendi?« 

»Ich habe wenigstens noch nichts davon gehört.« 

»Ja, es ist noch nie geschehen. Man kennt mich bereits. Von jetzt an aber wird mein Name von allen solchen Schuften mit doppelter Scheu genannt werden, und das habe ich dir zu verdanken.« 

»Lange nicht in der Weise, wie du es denkst! Ich habe dich ein wenig unterstützen können, aber nur, weil mir der Zufall günstig 7.3 gewesen ist.« 

»Das nennst du ›ein wenig‹? [...] Und von ›Zufall‹ darfst du gar nicht sprechen. Was du so nennst, ist nichts anderes als eine Folge deiner Schlauheit, deiner Verwegenheit, deiner scharfen Berechnungen, welche dich fast niemals täuschen. Also nicht mir, sondern eigentlich dir gebührt die Ehre, welche ich ernten werde. Aber du sollst erfahren und erkennen, daß ich dankbar bin.7.4 Die größte Dankbarkeit aber könntest du dir erwerben, wenn du mir eine Bitte erfüllst.« 

»Welche?« 

»Wann mußt du in deiner Heimat eintreffen?« 

»Wann es mir beliebt.« 7.42

»So bleibe jetzt noch bei mir! Ich will dir etwas sagen; ich werde dir ein Versprechen geben: Wenn du mir hilfst, diesen Ibn Asl zu fangen, so bin ich bereit, dir dann – – « 

»Halt, kein Versprechen!« unterbrach ich ihn. »Du hast mir erlaubt, dich als meinen Freund zu betrachten, und ich habe bewiesen, daß ich der deinige bin. Zwischen Freunden aber giebt es keinen Handel, kein Versprechen, keinen Preis und keinen Lohn. Ich habe Zeit. Warum soll ich sie dir nicht zur Verfügung stellen? Ich habe das Spiel mit Ibn Asl angefangen. Warum soll ich es nicht zu Ende führen, um es zu gewinnen? Die Sklavenfrage interessiert mich auf das höchste. Warum soll ich mich nicht praktisch mit ihr beschäftigen, da mir eine so passende Gelegenheit geboten wird! Das, was ich außerdem und früher beabsichtigte, kann ich gerade auf diesem Wege am besten erreichen. Ich bleibe also bei dir.« 7.5

»Bis wir den Hund haben!« 

»Ja, bis er unschädlich gemacht worden ist.« 

»Ich danke dir, Effendi! Nun erst bin ich sicher, daß ich ihn ergreifen werde. [...]«  ¶

Reïs Effendina & Kara Ben Nemsi   [282f]


§ 24

¶  Nachdem dies besprochen war, sagte der Reïs Effendina [zu mir]: 

»Ich weiß, daß du am liebsten gleich jetzt aufbrechen würdest, aber du wirst mich vorher doch bis an das Schiff begleiten müssen. Auf demselben befindet sich einiges, was ich dir mitzugeben habe, und dort findest du auch Munition und frischen Proviant, während du hier nur schlechte Reste bekommen könntest.« 

»Dann würde es mir aber lieb sein, wenn wir uns hier nicht lange verweilten, Emir.« 

»Wir werden sogleich abmarschieren, wenn ich einige Akte der Gerechtigkeit vollzogen habe.« 

»Willst du hier Gericht halten?« 

»Ja.« 

»Wer sind die Betreffenden?« 

Mir grauste schon, denn ich dachte an das Wadi el Berd und die Sklavenhändler, welche er dort so prima vista hatte erschießen lassen.

»Zunächst die beiden Asaker 8 dort,« antwortete er. »Sie haben den Tod verdient.« 

»Den Tod?« fragte ich, ganz erschrocken über diese Strenge. »Ihre kleinen Vergehen sind doch nicht schwere Verbrechen, welche man mit dem Tode bestraft!« 

»Ungehorsam, zumal wenn er solche Folgen hat, wird mit dem Tode bestraft, wenigstens bei mir. [« ¶ ...] Bedenke, was für Menschen ich unter mir stehen habe! Die sind nur durch Strenge zu regieren.« 

»Ich bin in Milde ganz gut mit ihnen ausgekommen!*« 8.2

»Für so kurze Zeit, ja, da ist es möglich. Bald aber würden sie dir über den Kopf wachsen. Meine Asaker kennen mich, und diese beiden Missethäter wissen ganz genau, was ihrer wartet.« 

»Also wirklich der Tod?« 

»Ja; ich werde sie jetzt erschießen lassen.« 

Vielleicht hatte er recht, vielleicht auch nicht; ich aber konnte mich nicht zwingen, eine solche Strenge für nötig zu halten. Die beiden armen Teufel dauerten mich; darum ließ ich mich nicht irre machen, sondern sprach solange auf ihn ein, bis er sagte: 

»Gut, ich schenke dir das Leben dieser Kerle. Sie mögen laufen und mir nie wieder vor die Augen kommen!« 

»Halt, Emir, so hatte ich es nicht gemeint! Was man thut, das soll man ganz und richtig thun. Schenkst du ihnen die Strafe und jagst sie fort, so ist das keine vollkommene Begnadigung.« 

»Soll ich sie etwa gar im Dienste behalten?« 

»Ja; ich bitte dich ganz besonders darum.« 

»Ganz besonders? Daß du dir ihr Leben erbeten hast, war wohl gar nichts Besonderes?« 

Ich lachte ihn an, hielt ihm die Hand hin und antwortete: 

»Schlag ein; sie bleiben bei dir! Du bist kein so finsterer Barbar, obwohl du ein solcher scheinen willst. Ich sage dir, daß ein Gehorsam aus Liebe tausendmal mehr wert ist als ein Gehorsam aus Furcht und Angst.* Ich kenne dich besser als du denkst und weiß genau, daß deine Asaker dich trotz deiner Strenge lieb haben.« 

»So? Hast du das erfahren?« fragte er in sehr mildem Tone und indem ein beinahe sonniges Lächeln über seine Züge glitt.

»Nicht nur einmal, sondern oft. Also, Emir, wirst du mir meinen Wunsch erfüllen?« 

»Du sollst es sogleich sehen und hören.« 

Er befahl, die beiden Männer loszubinden und zu ihm zu bringen. Als sie dann vor uns standen, war es ihren Armesündergesichtern anzusehen, daß sie die strengste Strafe erwarteten. Er sagte ihnen: 

»Ich wollte euch jetzt erschießen lassen, ihr Söhne des Ungehorsams; aber dieser Effendi bat für euch um Gnade, und da ich ihm seinen Wunsch erfüllte, verlangte er sogar, daß ich euch bei mir behalten soll. Ich habe ihm auch dies gewährt. Kniet vor ihm nieder, ihr Hunde, und dankt ihm im Staube! Denn seine barmherzige Hand hat euch vor der Pforte des Todes ergriffen und ins Leben zurückgeführt.« 

Sie warfen sich wirklich vor mir nieder und küßten mir die Hände, zwei Muhammedaner einem Christen! Als sie sich dann entfernt und zu ihren Kameraden gesetzt hatten, sah ich die Blicke dieser sonst so gefühllosen Menschen mit dem Ausdrucke liebevoller Dankbarkeit auf mich gerichtet. Ich behaupte doch immer und immer wieder, daß die Liebe, die christliche Liebe, die größte Macht im Himmel und auf Erden ist, und daß es keinen einzigen Menschen giebt, dessen Herz sie sich nicht früher oder später zu öffnen vermöchte!

»Eigentlich freue ich mich, dir deinen Wunsch erfüllt zu haben,« meinte der Reïs Effendina, »denn das giebt mir die Sicherheit, daß du mich nun jetzt nach meinem Ermessen handeln lässest. Trotzdem sage ich dir jetzt vorher, daß meine Dankbarkeit und meine Freundschaft für dich, so groß auch beide sind, mich nicht veranlassen könnten, dir eine ähnliche zweite Bitte zu erfüllen. Ich ersuche dich also dringend, mich nicht in Verlegenheit zu bringen! Schafft den Fakir el Fukara herbei!«  ¶  9

[286–289]


§ 25

Ich dachte an die Höhle von Maabdah, bei welcher ich ihn [Abd Asl] zum erstenmal gesehen hatte.9.2 Wie fromm und ehrwürdig war er mir da erschienen!10 Und als wie einen ganz andern hatte ich ihn dann kennen gelernt! Er hatte mir ja gleich am nächsten Tage schon nach dem Leben getrachtet und mich von damals an bis heute mit einer geradezu diabolischen Feindschaft verfolgt.

[291f]


§ 26

¶  »[...] Es bleibt bei meinem Spruche: Du wirst den Krokodilen vorgeworfen! [« ¶ ...] Wehe dem, der wehe thut! Das ist mein Wahlspruch, an dem du sterben wirst. [...]«  ¶

Reïs Effendina zu Abd Asl   [293]


§ 27

¶  Es war kurz vor Mittag, als wir aufbrachen. Der Emir hatte sich an die Spitze des Zuges gesetzt, und ich stieg mit Absicht zu allerletzt in den Sattel. Das geschah des Fakir el Fukara wegen. Er lag hilflos am Sumpfe, den Miriaden Stechfliegen, dem Hunger und dem Durste preisgegeben. Das erregte mein Mitleid, obgleich er es nicht verdiente. Ich besaß zwar einen Wasserschlauch, wollte ihn aber nicht opfern; darum hatte ich einen andern, ohne daß man darauf achtete, an mich genommen und an den Sattel gehängt; er war noch halb voll.

[...]

Ich sah ihn neben einem häßlichen Oscherbusche liegen, welcher ganz hart am Ufer stand. Der Sumpf war hier mit stinkendem Grün bedeckt, auf und in welchem riesige Krokodile in träger Ruhe lagen.11 Das waren die Totengräber und auch – die Gräber des Abd Asl 12!

Als der Fakir mich kommen hörte, wendete er den Kopf nach mir und stierte mich mit seinen blutunterlaufenen Augen an. Ueber sein tiefdunkles Gesicht ging ein beinahe tierisch zu nennendes Grinsen. Seinen Lippen entfuhren einige röchelnde Silben, jedenfalls Schimpfwörter, welche ich nicht verstand. Die Hände waren ihm noch gebunden, und an den aufgesprungenen Füßen wimmelte es bereits von Insekten, welche seine Schmerzen vermehrten. Ich stieg ab und durchschnitt die Schnur, so daß er nun die Hände frei hatte; dann legte ich ihm den Wasserschlauch hin und fügte schließlich den Mundvorrat hinzu, den ich in dem Sattelbeutel bei mir führte. Es war genug für einige Tage. Er sah mir dabei zu, ohne ein Wort zu sagen.

»Hier hast du, damit du nicht verschmachtest,« bedeutete ich ihm. »Mehr kann ich nicht für dich thun.« 

Er antwortete mir nur mit einem giftigen Zischen.

»Hast du einen Wunsch?« 

Er schwieg.

»Nicht? Dann lebe wohl! Zwei Stunden von hier, gerade gegen Osten, liegt der Nil. Du wirst ihn, noch ehe der Proviant ausgeht, erreichen können.« 

Ich stieg wieder auf. Als mein Kamel zu schreiten begann, ertönten hinter mir die dankbaren Worte: 

»Allah verdamme dich. Fürchte die Rache, die Rache!« 

Bald hatte ich den Zug erreicht und gesellte mich zu dem voranreitenden Emir.

[304f]


§ 28

¶  Als der Zug anlangte, bekümmerte ich mich um nichts als um die Vorbereitungen, welche wir zu dem bevorstehenden Ritte zu treffen hatten. Wir wurden mit allem Nötigen reichlich versehen und verabschiedeten uns kurz nach dem Nachmittagsgebete, da wir heute noch eine tüchtige Strecke zurücklegen wollten.

Meine Löwenhaut nahm der Emir nach Chartum mit, wo sie zubereitet werden sollte und ich sie später abholen wollte. Unser Weg führte nicht am Nile hin, dessen Krümmungen wir vermeiden mußten, sondern wir suchten die freie Ebene auf, welche uns ein viel schnelleres Fortkommen bot. Um das, was wir erleben würden, sorgten wir uns nicht.13 – – –  ¶

(Abschluss von) Kap. 3   [305]


§ 29

¶  Zwei Menschen, ganz allein in der weiten Wüste! Die Sonne brennt so glühend hernieder, daß man sich wie gebraten fühlt und, um nicht geblendet zu werden, die Kapuze des Haik weit über das Gesicht ziehen muß. Zu sprechen giebt es nichts; man hat sich ja längst ausgesprochen. Zudem liegt die Zunge zu schwer in dem trockenen Munde, daß man, auch wenn Unterhaltungsstoff vorhanden wäre, doch lieber schweigen würde. Vorn, hinten, rechts und links Sand! Die Kamele gehen ihren Schritt, mechanisch wie aufgezogene Maschinen. Sie besitzen nicht das Temperament des edles Rosses, welches dem Reiter zeigt, daß es sich mit ihm freut und auch mit ihm leidet. Der Herr kann mit seinem Rosse eins sein, mit dem Kamele aber nie, selbst wenn es das kostbarste Hedschihn wäre. Dies spricht sich schon äußerlich durch die Art und Weise aus, wie er auf dem ersteren und wie auf dem letzteren sitzt.

Der Reisige umarmt den Leib seines Rosses mit den Beinen; er hat »Schluß« und macht dadurch die Sage vom Centauren wahr. Diese Umschlingung bringt die Glieder, die Muskeln und Nerven des Mannes mit denen des Pferdes in innige Berührung. Das Roß fühlt die Absichten des Reiters, noch ehe dieser sie äußerlich zur Andeutung bringt. Es gewinnt ihn lieb; es wagt mit ihm; es fliegt mit ihm, und es geht mit vollem Bewußtsein dessen, was es thut, mit ihm in den Tod.

Ganz anders beim Kamele. Auf hohem Höcker im Sattel sitzend, berührt der Reiter das Tier nur, indem er seine Füße über den Hals kreuzt. Es giebt nicht den mindesten »Schluß«, keine äußere und also auch keine innere Vereinigung. So hoch er auf oder über ihm thront, so tief bleibt es im geistigen Verständnisse für ihn zurück. Ist es gutmütig, so gehorcht es ihm wie ein Sklave, ohne die Spur einer eigenen Individualität zu zeigen; ist es aber bösartig und störrisch, wie die meisten sind, so steht es mit ihm in einem immerwährenden Kampfe, welcher ihn ermüden und endlich gar mit Widerwillen erfüllen muß. Wirkliche Liebe für seinen Herrn wird man bei einem Kamele nur äußerst selten beobachten.

Das ist es, was einen einsamen Ritt durch die Wüste noch einsamer macht. Man fühlt ein lebendes Wesen unter sich und kann sich doch nicht mit ihm beschäftigen. Das Pferd giebt durch Wiehern, Schnauben, durch die Bewegung der Ohren und des Schwanzes, durch verschiedene Modulationen des Ganges seine Gefühle zu erkennen; es spricht mit dem Reiter; es teilt sich ihm mit. Das Kamel schreitet gleichmäßig weiter und weiter; es trägt seinen Herrn tage- und wochenlang, lernt ihn aber trotzdem nicht kennen.

Dann wird ein solcher Ritt durch die Einöde zur wahren Pein, und mit Freuden begrüßt man die kleinste Unterbrechung, welche einem ein günstiger Zufall entgegenschickt.

Unsere beiden Hedschihn gehörten zur Klasse der gutwilligen Kamele. Hatten wir uns aufgesetzt, so begannen sie zu laufen »wie die Schneider«, sagt der Deutsche, und sie liefen wie die Schneider und immer weiter, immer in einem und demselben Tempo, ohne sich zu weigern, ohne einmal einzuhalten, ohne die leiseste Spur irgend einer selbständigen Willensregung zu zeigen. Das war entsetzlich langweilig; man verlor zuletzt selbst den Willen; man schlief innerlich ein und behielt nichts als nur das öde Bewußtsein, daß man in einer endlosen geraden Linie durch den Sand getragen werde.

Da weckte mich ein scharfer Schrei aus dem Zustande der seelischen Erschlaffung, in welchen ich gesunken war. 14

(Eröffnung von) Kap. 4  (cont. of prec.)   [306f]


§ 30

¶  »Woher weißt du, daß sie [die Karawane] sich so langsam bewegt?« 

»Die Falken schweben über der Karawane; das Tempo der Vögel ist auch dasjenige der Menschen.« 

»Effendi, du weißt wirklich Dinge aus Gedanken hervorzuzaubern! [...]«  ¶

Ben Nil & Kara Ben Nemsi   [309]


§ 31

Eine Unwahrheit ist wohl ein geringeres Verbrechen als eine Aufrichtigkeit, durch welche man nicht nur zum Selbstmörder wird, sondern auch das Wohl oder gar das Leben Anderer auf das Spiel setzt.  ¶

[314]


§ 32

¶  »Glaube nicht, daß wir euch Predigten halten. Alles zu seiner Zeit und an rechtem Orte. Das Wort darf nur dann vom Munde fließen, wenn der Geist im Innern mächtig wird.«  ¶

Kara Ben Nemsi   [316]


§ 33

Aber trotz seiner gezeigten tiefen Ehrerbietung stieß er mich in einer Weise ab, daß ich ihn am liebsten weit von mir fort gewünscht hätte. Seine Züge waren regelmäßig, und seine Stimme hatte einen kräftigen, wohllautenden Klang; daß er mir trotzdem so sehr unsympathisch war, hatte keine äußeren, sondern innere Gründe, über welche ich mir freilich selbst keine Rechenschaft zu geben vermochte.  ¶

[ib.]


§ 34

¶  »Dieser Ben Nil ist ungefähr achtzehn Jahre alt und ohne Bart, von schmächtiger Gestalt, besitzt aber bedeutende Körperkraft. Haare und Augen sind dunkel, die Wangen voll. Die Kleidung, welche er zuletzt trug, bestand aus – – « 

Er hielt inne, musterte Ben Nil mit erstaunten Augen und rief dann aus: 

»Welch ein Wunder! Die Beschreibung, welche ich von diesem abtrünnigen jungen Moslem erhalten habe, paßt ganz und genau auf diesen Jüngling, welcher da an meiner Seite sitzt!« 

[Kara Ben Nemsi:]  »Du irrst, oder ist es ein Zufall.« 

»Ich sage dir aber, es stimmt genau, sehr genau.« 

»Das ist möglich, da du jenen Ben Nil nicht gesehen hast. Dunkle Haare und Augen, schmächtige Gestalt und volle Wangen besitzen tausend junge Leute. Dieser Jüngling aber ist über jeden Zweifel erhaben, denn er ist ein berühmter Chatib, vom heiligen Orden des Sihdi Senussi.« 

Der Bote kreuzte die Arme über die Brust, verneigte sich gegen Ben Nil und sagte: 

»Dann irre ich mich allerdings; aber ich habe diesen frommen Chatib, den Allah segnen wird, nicht beleidigen wollen.« 

Gott sei Dank! Die kleinere Hälfte 15 der Gefahr war überstanden! Wie würde es aber mit der anderen, größeren Hälfte 15.2 werden!

[326f]


§ 35

¶  »Aber,« fiel der Bote ein, »ich erinnere mich, von Ibn Asl gehört zu haben, daß der ungläubige Effendi [Kara Ben Nemsi] die arabische Sprache und den Kuran so genau kennt, als ob er hier bei uns geboren sei und beim besten Muderri [16 Professor an einer muhammedanischen Universität.] in Kahira studiert habe. Nimm dich in acht! Fälle dein Urteil nicht zu früh, denn du könntest dich leicht irren!«  ¶

[335]


§ 36

¶  »Allah! Das giebt wieder ein Abenteuer! Effendi, wer mit dir reitet, darf um Ereignisse, Unterbrechungen und sogar Gefahren keine Sorge tragen. [...]«  ¶

Ben Nil zu Kara Ben Nemsi   [338]


§ 37

¶   [Kara Ben Nemsi:]  »Aber ich habe doch die Sure Kuiffar ohne Anstoß hersagen können! Wie kann ich da jener christliche Effendi sein!« 16.2

»Du kannst alles!« 

»Nicht alles, aber viel. [...]«  ¶

[345]


§ 38

¶   [Kara Ben Nemsi:]  »[...] Ich kam nach Maabdah, um die dortige berühmte Krokodilhöhle zu sehen. Dein Bruder führte mich in derselben herum und schenkte mir dann die Hand einer weiblichen Mumie – – « 

»Die Hand einer weiblichen Mumie?« fiel er [Hafid Sichar] rasch ein. »Beschreibe sie mir!« 

Als ich dieser Aufforderung nachgekommen war, rief er aus: 

»Effendi, da mußt du ihm einen sehr großen Dienst erwiesen haben!« 

»Gar nicht!« 

»Nicht? Nun, so hast du einen so guten Eindruck wie noch kein anderer auf ihn gemacht. Es ist die Hand einer Pharaonentochter, einer altägyptischen Prinzessin. Ich weiß, welchen Wert mein Bruder auf dieselbe legte, und freue mich außerordentlich darüber, daß es dir so schnell gelungen ist, sein Wohlwollen zu erwerben.« 

»Dieses Wohlwollen ist ein gegenseitiges, wie ich dir versichern kann. [...]«  ¶ 16.3

[348]


§ 39

¶   [Hafid Sichar:]  »[...] Ich hätte nie geglaubt, daß mir ein solches Unglück widerfahren könne, und weiß wirklich nicht, wie ich es verdient habe.« 

[Kara Ben Nemsi:]  »Was dieses letztere betrifft, so sind alle Menschen, auch du und ich, Sünder,17 welche nur von Allahs Gnade und Barmherzigkeit leben. Jedes Ereignis, wenn wir es ein Unheil nennen, haben wir reichlich verdient,* 17.2 und dennoch fügt es Allah, daß dieses Unheil, wenn wir es in der rechten Weise auf uns  w i r k e n  lassen,* uns zum Heile und Segen wird.* Sprich also nicht vom Verdienen! Es war eine Prüfung*, von Allah gesandt, vielleicht um dein Herz zu läutern,18 deinen Sinn nach innen und nach oben zu lenken*.« 

Er antwortete nicht; es entstand eine längere Pause. Dann ergriff er meine Hand und sagte, indem er sie mir herzlich drückte: 

»Effendi, du hast mit deinen Worten das Richtige getroffen. Ich habe im Elende mit Allah gehadert; ich habe mein Leben verflucht und die Menschheit verwünscht. Zuweilen kamen bessere, lichtere Gedanken, doch verschloß ich ihnen die Thüre meines Herzens. Jetzt aber, wo ich wieder in das Leben trete und mein Inneres vor Wonne bebt, wo du von Läuterung redest und von dem Gerichtetsein des Sinnes nach innen und oben,* da überkommt mich wie ein heller Blitzstrahl die leuchtende Erkenntnis, daß du recht hast. Wer und wie ich früher gewesen bin, davon werde ich dir später erzählen. Heute stehe ich plötzlich, ohne daß ich selbst eine Vorahnung davon hatte, als ein Neuer auf. Ja, ich habe nicht umsonst gelitten. Allah sei gelobt dafür!*« 

»Es freut mich aufrichtig, solche Worte aus deinem Munde zu hören. Du hast Monate und Jahre deines Lebens verloren, dafür aber innere Schätze gefunden, deren Wert nicht wie die Zeit vergänglich ist.* Und was dir an Hab und Gut genommen wurde, das, hoffe ich, werde ich dir später zurückgeben können.« 

»Du?« fragte er verwundert. »Bist du so reich, Effendi?« 

»O nein; ich bin sogar arm. Aber ich weiß, daß Ibn Asl sehr viel Geld bei sich führt. Erwische ich ihn, ehe er es ausgegeben hat, so muß er dir und deinem Bruder alle eure Verluste ersetzen.« 

»Dazu bedarf es Ibn Asls nicht. Er ist mir nicht so sicher wie Barjad el Amin.« 

»So hat auch dieser von dem Verbrechen profitiert?« 

»Natürlich! Barjad war arm, aber brav. Mein Bruder wußte dies und gab ihm das Geld, welches zur Errichtung eines Geschäftes in Chartum gehörte. Später lieh er ihm eine noch höhere Summe, um sein Geschäft zu vergrößern. Dann, als die Zeit kam, in welcher diese Beträge zurückzuzahlen waren, reiste ich nach Chartum, um sie in Empfang zu nehmen. Ich kam zu Barjad el Amin. Er war ein anderer geworden. Er hatte einen Gehilfen, welcher Ibn Asl hieß, in sein Geschäft genommen und war von diesem auf die hohe Erträglichkeit des Sklavenfanges aufmerksam gemacht worden. Es gelüstete ihn nach den Reichtümern, welche auf diesem Wege zu erlangen sind; die Habgier hatte in seinem Herzen Einzug gehalten. Aber zum Sklavenfange gehört, wenn er kaufmännisch betrieben werden soll, Geld, sehr viel Geld. Wenn er soviel an mich zu zahlen hatte, blieb ihm nicht genug. Da raunte ihm der Teufel zu: Gieb es ihm nicht, oder noch besser, gieb es ihm, verlange Quittung, und nimm es ihm dann wieder! Er gehorchte dieser Teufelsstimme. Ich hatte keine Ahnung davon. Ich wurde freundlich empfangen, bekam das Geld und quittierte. Ich wohnte dann noch einige Tage bei ihm. [...]«  ¶

[349–351]


§ 40

¶  »[...] Jetzt wollen wir ruhen. Wir haben einen weiten Ritt vor uns, und ich denke, daß besonders du des Schlafes nicht entbeheren darfst.« 

»Ich schlafen? Effendi, welch ein Gedanke! Einer, der tot war und wieder lebend wurde,19 soll im Augenblicke des Erwachens an den Schlaf denken! Nein, nein! Wenn ich auch wollte, ich könnte nicht schlafen. Schlaft aber ihr. Ich will hier sitzten, still und ohne mich zu regen, und die Seligkeit durchkosten, das Firmament und den Himmel Allahs über mir zu haben und tausend und abertausend Sterne in mir aufgehen zu fühlen.20« 

»Nun wohl, ich sehe allerdings ein, daß du viel, viel lieber wachen als schlafen willst. So wache; aber wecke uns beide 21, kurz ehe der Tag zu grauen beginnt, später ja nicht, damit wir die Takaleh beobachten können. [...]«  ¶

Kara Ben Nemsi & Hafid Sichar   [353f]


§ 41

Da hörte ich hinter unserer Ecke Ben Nils lachende Stimme: 

»Effendi, die kommen nicht wieder! Was bringst du doch alles fertig! Jetzt hast du dich sogar in einen Löwen verwandelt! Das zornige Knurren und Pfauchen voran war vortrefflich. Es klang ganz genau so, als ob ein Löwe aus dem Schlafe gestört worden sei. Aber dann das Brüllen war weniger gut. Man hörte, daß es aus keinem Löwenrachen kam.« 

»Weil du wußtest, wer dieser Löwe war!« 

»Jawohl. Den Takaleh aber ist es ganz naturgetreu erschienen. Sie werden sich nun hüten, den Subakh und unsere Ecke zu untersuchen. Als du fortgingst und dort in das Loch krochst, dachte ich, daß uns dies gerade verraten könnte. Ich wußte ja nicht, daß du den ›Herrn mit dem dicken Kopfe‹ spielen wolltest. Nun aber bin ich froh, daß du es gethan hast. Wie bist du denn auf diesen Gedanken gekommen, Effendi?« 

»So, wie einem in der richtigen Lage der richtige Gedanke kommen muß: ganz unerwartet* und ohne langes Suchen.«  ¶

[361f]


§ 42

¶  Er [Hafid Sichar] öffnete die Umschläge. Sie enthielten je einen offenen Empfehlungsbrief und eine Anweisung auf ein Chartumer Haus.

»Hat mein Bruder dich gekannt, ehe du zu ihm nach Maabdah kamst?« fragte Hafid Sichar.

»Nein.« 

Er sah mich mit einem langen, großen Blicke an, und seine Augen glänzten feucht, als er dann sagte: 

»Das, das that mein Bruder für mich, und ich glaubte, er habe mich ganz aufgegeben. Diese Anweisungen sagen mehr, als du denkst. Sie sind von hohem Betrage. Er muß vorher alles mögliche, mich zu entdecken, aufgeboten haben. Er sah dich zum erstenmale und gab dir solche Briefe mit! Du mußt ihm als ein sehr ehrlicher und vertrauenswerter Mann erschienen sein. Bedenke, daß du ein Christ und ihm vollständig Fremder warst! Was hättest du mit dem vielen Gelde gemacht?« 

»Dir gegeben, sobald ich dich fand. Stecke die Empfehlungen und Anweisungen ein; sie gehören dir! Wir werden zusammen bleiben, bis du zu deinem Bruder kommst, und falls ich etwas bedarf, werde ich es dir sagen.« 

»Gut! Unter dieser Bedingung werde ich die Papiere behalten. [...]« 22

[364]


§ 43

¶  Ich hätte auf diesen seinen Plan nicht eingehen sollen. [...] daß er so rasch nach einer so unfreundlichen Begrüßung, wie die unserige gewesen war, ein solches Vertrauen zu mir äußerte, das schmeichelte mir; die liebe, alberne Eitelkeit trübte meinen Blick,23 und ich griff eine Sache, die gar nicht zu verderben war, gerade bei derjenigen Seite an, wo ich sie mit hoher Wahrscheinlichkeit verderben konnte. Nur »ich allein« konnte es zu stande bringen! War ich es da nicht ihm und auch mir schuldig, ihm zu beweisen, daß er sich nicht in mir täuschte?

[384f]


§ 44

Ich hatte mich umgekleidet und sah nun in dem Anzuge und mit dem sonnverbrannten Gesicht und den ebenso braunen Händen wie ein echter Sklavenjäger aus. Freilich, das Gesicht war nicht in ein anderes zu verwandeln; es konnte mich verraten.23.2  ¶

[391]


§ 45

¶  »[...] Dieser junge Mensch ist nämlich Ben Nil, von dem wir dir erzählt haben, Ben Nil, der treue Begleiter des Effendi. Wo der eine ist, ist auch der andere, und da wir Ben Nil hier gefunden haben, so steht mit Sicherheit zu erwarten, daß auch sein Herr in Faschodah ist.« 

»Ist’s möglich? Ben Nil soll das sein?« rief der Sangak im Tone des Zweifels aus.

»Ja, ja! Wir irren uns nicht; wir kennen ihn ganz genau. Laß ihn hauen, laß ihn peitschen, bis er uns sagt, wo sich sein Herr befindet!« 

»Das ist nicht nötig,« sagte ich, indem ich aus der Ecke hervortrat. »Ich kann es euch selbst sagen, wo ich bin.« 

Der Eindruck, den diese Worte machten, war ein ganz anderer, als ich erwartet hatte. Ich wollte mich ohne Gegenwehr ergeben, da ich dieselbe für unsinnig hielt; ich rechnete dabei auf spätere bessere Umstände. Ich glaubte, man würde sich sogleich auf mich werfen und mich niederreißen; aber es fand das gerade Gegenteil statt.

»Der Effendi, der Effendi selbst!« schrie der Muza’bir. »Er ist mitten unter uns! Allah beschütze uns! O Allah, Allah!« 

Die erschrockenen Menschen standen steif wie Marmorbilder. Einige sperrten die Mäuler auf; keiner aber machte eine Bewegung, sich an mir zu vergreifen. Das mußte ich benutzen. Zwei Sprünge brachten mich zu Ben Nil. Ich riß ihn los und schleuderte ihn zur Thüre hinaus, so daß die Arnauten nach links und rechts zurückflogen. Nun auch mir mit Fausthieben und -stößen Bahn brechend, drang ich ihm nach. Hinter mir hatte man sich gefaßt.

»Heraus, Arnauten, heraus!« rief die gewaltige Baßstimme des Sangak. »Haltet die Flüchtlinge, haltet sie!« 

Ben Nil war vor der Thüre niedergestürzt und hatte sich noch nicht erhoben. Ich stolperte über ihn. Uns gegenüber wurde die Thüre aufgestoßen und mir an den Kopf geschlagen. Arnauten kamen heraus. Hinter uns drängten die andern. Mir flimmerte es vor den Augen; der Schlag der Thüre hatte mich an einer empfindlichen Stelle getroffen. Ich fühlte mich ergriffen; ich rang mit zehn, mit zwanzig Fäusten; ich stieß und schlug um mich; ich trat mit den Füßen nach rechts und links, nach hinten und vorn – vergeblich. Wir wurden niedergerungen und in das Empfangszimmer geschleift, wo man uns fesselte.

Der Auftritt ließ sich unmöglich beschreiben. Ich kochte vor Anstrengung, Ben Nil ebenso; aber auch die Arnauten standen keuchend und mit fliegendem Atem um uns herum. Der Sangak schob sie auseinander, so daß er zu uns konnte, wirbelte mit den Händen seinen langen Schnurrbart rechts und links in die Luft hinaus und rief in höhnischem und zugleich triumphierendem Tone: 

»Welch ein Tag! Welch eine glückliche Stunde! Welch eine Ueberraschung! Haben meine Ohren denn recht gehört? Ja, denn dieser Mann würde nicht versucht haben, zu entfliehen, wenn er nicht derjenige wäre, als welcher er bezeichnet wurde.« 

»Pah!« antwortete ich ihm. »Ich habe ja selbst zugegeben, daß ich es bin.« 

»Also doch! Und welch eine Frechheit, welch eine Unverschämtheit, es auch noch zuzugeben! Hebt die Kerle auf und stellt sie an die Wand! Ich muß sie mir jetzt einmal näher betrachten.« 

Man folgte diesem Gebote. Als wir nun wie Schaustücke an der Mauer lehnten, stellte sich der Sangak vor mich hin und sagte schließlich [...]:  ¶ 24

[401f]


§ 46

¶  »Welche Wonne, Effendi!« sagte Ben Nil. »Du hattest doch recht. Man soll die Hoffnung niemals aufgeben.24.2 Wir sind gerettet, wenn man uns nicht aufhält!« 

»Aufhält? Wenn ich im freien Besitze meiner Glieder bin und ein Messer in meiner Hand habe, lasse ich mich von zwanzig und einigen Männern nicht aufhalten. Darauf kannst du dich verlassen. Es ist ganz so, als ob wir schon frei wären.« 

Da ich die Hände frei hatte, war es nicht schwer, mir auch die Füße frei zu machen und mich von dem Nagel loszuschneiden. Dasselbe that ich dann auch mit Ben Nil.

[412]


§ 47

¶  »Es giebt Wahnsinnige, welche zuweilen sehr gut bei Sinnen sind. [...]«  ¶

der »Vater der Fünfhundert«   [421]


§ 48

¶  Der »Vater der Fünfhundert« war ein Freund der Gerechtigkeit selbst auf die Gefahr hin, unmenschlich zu sein, aber den Beutel zu ziehen, das schien nicht zu seinen Passionen zu gehören! Der beste Mensch hat seine Schwächen!

[428]


§ 49

¶  »Welche Verwegenheit, mir das zu sagen!« rief Schedid aus, indem er beide Hände nach mir ausstreckte, als ob er mich ergreifen wolle. Er ließ sie aber wieder sinken, so perplex war er über meine vermeintliche Kühnheit. Ich fuhr unbeirrt fort:  ¶

[434]


§ 50

¶  Ich hatte einen guten Grund, schon hier im Walde nach dem Goldstaube zu suchen und dies nicht später in Faschodah geschehen zu lassen. Wenn nämlich der Mudir [der »Vater der Fünfhundert«] den Staub in die Hände bekam, so stand zu erwarten, daß ein Teil davon, vielleicht gar alles in denselben kleben bleiben werde.25 Das wollte ich mit Rücksicht auf den armen Händler 25.2 verhüten. Ich nahm denselben also, während zum Aufbruche gerüstet wurde, beiseite und fragte ihn:  ¶

[437]


§ 51

¶  Er hielt die fünf Päckchen [vom Goldstaub] in den Händen, blickte bald sie, bald mich an und fragte mit vor Glück zitternder Stimme:

»Ist es möglich? Meinst du das wirklich so! Ich soll alles haben? Du willst nichts für dich behalten?«

»Nein. Ich habe kein Recht dazu, und wenn ich es hätte, würde ich nichts behalten.«

»O, Effendi! Da sind die fünf Pakete; nimm wenigstens eins, nimm zwei!«

Er hielt sie mir hin.

»Ich wiederhole, daß ich nichts nehme.«

»Aber wie soll ich dir deine Güte vergelten? Ich weiß, daß der Mudir sehr zornig auf dich sein wird.«

»Mag er; ich mache mir nichts draus. Sorge nur dafür, daß er nicht etwa deiner habhaft wird!«

»O, er wird mich nicht zu sehen bekommen. Ich werde laufen, gleich jetzt laufen und nicht eher ausruhen, als bis ich weit, sehr weit von Faschodah entfernt bin. Allah segne dich! Du bist ein Christ, Effendi; wären doch alle Moslemim solche Christen!«

Er drückte meine Hand an seine Lippen und eilte fort. Es fiel ihm nicht ein, mit uns zurück zu marschieren, und ich nahm ihm das auch gar nicht übel.  ¶

[438]


§ 52

Als ich dem »Vater der Fünfhundert« meine Meldung machte, war seine erste Frage nach dem Goldstaube, ganz so, wie ich es erwartet hatte.26 Wie fuhr er auf, und wie blickte er mich an, als ich ihm mitteilte, wem ich denselben gegeben hatte 27. Er wurde grob, ja sehr grob und beehrte mich mit verschiedenen Namen, für deren Wiedergabe ich kein Bedürfnis besitze; er rannte gestikulierend im Zimmer umher, blieb endlich vor mir stehen und schnaubte mich an:  ¶

[439]


§ 53

¶  »[...] Meinst du, daß wir wieder loskommen werden?«

»Ich hoffe stets, also auch jetzt.27.2 Der Emir ist ja da.«

»Aber wenn man uns umbringt, noch ehe er kommt!«

»Mit diesem Gedanken haben wir allerdings zu rechnen. Wir sind unsern Feinden schon wiederholt entkommen, und um dies jetzt zu verhüten, können sie leicht auf den Gedanken geraten, uns sofort das Leben zu nehmen. [...]«  ¶

Ben Nil & Kara Ben Nemsi, Kap. 5  [464]


§ 54

¶  An der kreisrunden Wand hingen zehn Gewehre und noch mehr Pistolen, alle geladen. Wir nahmen diese Waffen an uns und gingen dann nach dem Tokul, welcher uns als Wohnung des Türken bezeichnet worden war. Ich freute mich darauf, dort seine Schwester zu sehen. Als wir in die vordere Abteilung traten, war es in derselben finster; aber durch den Mattenvorhang schimmerte aus der zweiten, hintern Abteilung Licht. Ich schob ihn zurück und trat hinein. Die »Damen« saßen beim Kaffee. Kumra, zu deutsch die Turteltaube, die Schwester des Türken, saß in der Mitte der Abteilung auf einem Teppiche; daneben kauerten die vier Dienerinnen um einen thönernen Topf, in welchem Holzkohlen brannten. Auf demselben stand ein zweiter Topf mit kochendem Wasser, in welchen Fatma soeben die zerstampften Bohnen schüttete. Alle fünf starrten mich wortlos an, so erschrocken waren sie über mein Erscheinen.

Ich bin sonst gern so rücksichtsvoll wie möglich gegen Damen, jetzt aber war ich äußerst rücksichtslos, was mir aber, wie ich aufrichtig gestehe, selbst heutigen Tages noch keine Gewissensbisse macht. Erstens kam ich nicht zur vorgeschriebenen »Visitenzeit«; zweitens betrat ich einen Harem, was bekanntlich streng verboten ist, und drittens war meine Erscheinung so wenig salonfähig, daß ich jetzt, wo ich dies niederschreibe, die Augen, allerdings nur für zwei Sekunden, niederschlage. Hatte mein Anzug schon während der langen Fahrt und der vorherigen Erlebnisse bedeutend gelitten, so war ihm nun vorhin in der schlammigen Grube der »letzte Rest« gegeben. Mein Aussehen war nichts weniger als gentlemanlike. Dazu meine Bewaffnung! Ich hatte nämlich von den Waffen, welche wir an uns genommen hatten, drei Flinten überhängen und vier Pistolen im Gürtel stecken – ein Rinaldini in Lehm! Trotz dieser für einen Damenbesuch wenig geeigneten Aeußerlichkeiten kreuzte ich die Hände auf der Brust, verbeugte mich und sagte:

»Muhammed, der Prophet der Propheten, verleihe eurem Tranke die Wohlgerüche des Paradieses! Meine Seele dürstet nach Erquickung. Darf ich euch um einen Findschahn [28 Tasse.] bitten?«

Da bekam die Turteltaube ihre Sprache.

»Der Effendi!« rief sie, indem sie aufsprang. »Ich denke, du liegst im Loche gefangen!«

»Wie du siehst, ist dies nicht mehr der Fall.«

»Ich wollte – wollte – – wollte dich gern befreien, wußte aber nicht, wie ich es dieses Mal anfangen könne.«

»Ich danke dir, du lieblichste und beste unter den Jungfrauen! Du hast mir schon einmal die größte der Wohlthaten erwiesen; heute durfte ich nicht wieder auf dich rechnen. [...]«

[...]

Sie hob die Hände beteuernd zu mir empor. Sie vergaß, daß sie unverschleiert war, und so hatte ich zum zweitenmal die »Wonne«, ihr Angesicht schauen zu dürfen, dies wunderlich verkniffene Gesicht, welches mich, wie bereits einmal gesagt, so lebhaft an die sächsische Löffelhändlerin aus Beierfeld bei Schwarzenberg erinnerte. Selbst heute noch muß ich, wenn von orientalischer Frauenschönheit die Rede ist, ganz unwillkürlich an die Züge jener Turteltaube denken.  ¶

[473–475]


§ 55

¶  »Das allerbeste ist, wir schießen sie nieder,« antwortete sein Großvater. »Waffen haben wir genug dazu.«

»Das werden wir nur im Notfalle thun,« entgegnete ich. »Ihr wißt, daß ich nicht gern Blut vergieße. [...]«  ¶ 28.2

[476]


§ 56

¶  »[...] Wie oft hast du geglaubt, über mich triumphieren zu können, und hast doch stets die Uebermacht des Guten fühlen und erfahren müssen. [...]«  ¶

Kara Ben Nemsi zu Murad Nassyr  [481]


§ 57

Es war nicht Hartherzigkeit, nicht Rachsucht, daß ich in dieser Weise mit ihm [Murrad Nassyr] redete, sondern ich wurde von der besten Absicht geleitet. Er sollte in sich gehen; er sollte jetzt in der Grube 28.3 einige böse Stunden verbringen; er sollte Todesangst ausstehen, um dadurch vielleicht zur Erkenntnis zu kommen.  ¶

[482]


§ 58

¶  »Du hast mir böse, böse Stunden bereitet 29!« seufzte er [Murrad Nassyr], indem er den Ellbogen auf das Knie stemmte und den Kopf in die Hand legte.

»Ich? Du selbst bist schuld daran. Du ganz allein! Wir Christen haben ein Sprichwort, welches sagt: Thue nichts Böses, so widerfährt dir nichts Böses!«  ¶

[486]


§ 59

»Dieses Versprechen genügt mir nicht, weil es keine hinreichende Bezahlung ist für das, was ich dir vorzuwerfen habe.«

»Was verlangst du denn noch?«

»Eigentlich nichts, gar nichts weiter als dein Leben.« 29.2

Er legte das Gesicht in beide Hände und schwieg. Nach einer Weile sah er zu mir auf und sagte:

»So mach es kurz, und schieß mich hier auf der Stelle nieder!«

Was war das für ein Gesicht! Der Mann schien in diesen wenigen Stunden zehn, fünfzehn Jahre älter geworden zu sein. Es sah wirklich aus, als ob Falten in seine vollen Wangen gefallen seien. Das freute mich; das hatte ich gewollt.30 Darum sagte ich in einem weniger strengen Tone:  ¶

Kara Ben Nemsi & Murrad Nassyr   [487]


§ 60

¶  »[...] Du kanntest mich als einen Mann, der seine eigenen Wege geht und seine eigene Art und Weise hat, der außer Gott nichts fürchtet und auch vor keiner List die Segel streicht. [...]«  ¶

Kara Ben Nemsi zu Murrad Nassyr   [ib.]


§ 61

Ich stopfte mir eine neue Pfeife, setzte sie in Brand und stieg dann zur Mischrah hinab. Kaum war ich dort angekommen, so erschien der »Falke«, die vollen Segel vor dem Winde blähend. Es war ein prächtiger Anblick, diesen scharfen Segler zu sehen. Vorn am Buge stand der Emir. Er sah mich und rief mir zu: »Holla! Da steht ja der Welteroberer und raucht die Siegespfeife! Die Gefangenschaft scheint dir nicht übel bekommen zu sein!«

»Sie war so kurz,« antwortete ich, »daß sie mich weit mehr unterhalten als belästigt hat.«  ¶

[491]


§ 62

¶  Der »Falke« rauschte näher; die Segel sanken. Von der Stetigkeit weiter getrieben, kam das Schiff vollends bis an die Mischrah und ließ da den Anker fallen. Der Landungssteg wurde ausgelegt, und der Reïs Effendina eilte als erster an das Ufer, streckte mir die beiden Hände entgegen, schüttelte die meinigen kräftig und sagte mit seinem biedern, treuherzigen Lachen:

»Vier Männer, wobei noch dazu ein Neger, eine ganze, große Seribah erobert, und gar vorher erst gefangen gewesen, das ist schon etwas, worauf man stolz sein kann. Ich gratuliere dir. Nun sollen die Hunde aber über die Klinge springen, alle vom ersten bis zum letzten, den dicken Türken [Murrad Nassyr] nicht ausgenommen.«

»Langsam, langsam! Ich möchte das nicht so für sicher und gewiß aussprechen hören.«

»Was?« meinte er, indem er die Brauen finster zusammenzog. »Willst du mir wohl wieder mit einer deiner menschenfreundlichen Bitten kommen?« 30.11

Sein erst so frohes, heiteres Gesicht hatte einen ganz anderen Ausdruck angenommen, als er jetzt in beinahe barschem Tone fortfuhr:

»Daraus wird nichts. Es ist schon fest beschlossene Sache. Solche Brut darf nicht leben bleiben. Kommt mit hinauf in die Seribah!«

Wir stiegen die Mischrah empor und krochen durch das Schlupfloch. Dann führte ich ihn herum, ohne daß wir zunächst einen Tokul betraten. Dann setzte ich mich auf einen daliegenden Baumstamm und forderte ihn auf:

»Laß dich hier mit nieder! Ich will dir erzählen.«  ¶

[491f]


§ 63

¶  »Gut. Vorher aber will ich dir sagen, daß Ibn Asl es verstanden hat, eine Seribah anzulegen. Das ist ja eine wahre Festung! Durch diese Waldmauer kann man nicht dringen. Er durfte die Verteidiger nur an die Mischrah stellen, so hätte man sich die Köpfe einlaufen müssen. Zwölf Mann in Summa hast du angetroffen? Selbst diese hätten, wenn sie hinreichend mit Munition versehen waren, meinen hundert Asakern und wenigen Takaleh zu schaffen gemacht.«

»Sie waren versehen. Ich habe einen guten Vorrat von Pulver und Blei vorgefunden.«

»Dann nur ein umsichtiger, aufmerksamer Kommandant, und ich hätte unverrichteter Sache abziehen müssen. Wir hätten Blut, viel Blut gelassen, und zwar vergebens. Und das hast du bekommen ohne einen Schuß, einen einzigen Messerstich! Effendi, du hast ein ungeheures Glück, ein solches Glück, daß es mir angst und bange um dich werden möchte.30.12 Wenn es dich einmal verläßt, wird es dir um so trauriger ergehen. Nimm dich in acht und wage in Zukunft nicht mehr so viel wie bisher! Doch erzähle mir nun!«  ¶

Reïs Effendina & Kara Ben Nemsi   (cont. of prec.)   [492]


§ 64

¶  Die Thatsachen wußte er [Reïs Effendina] bereits durch den Bericht des alten Steuermannes, sodaß ich mich kurz fassen konnte und nicht viel hinzuzufügen brauchte. Die Hauptsache war mir, ihn für den Türken [Murrad Nassyr] günstiger zu stimmen. Ich that mein möglichstes, hielt ihm eine lange Rede und raffte alle möglichen Gründe zusammen, die den Gefangenen zu entschuldigen vermochten. Er hörte mich an, ohne mich nur einmal zu unterbrechen, und blickte, als ich zu Ende war, eine ganze Weile finster und wortlos vor sich hin. Dann sagte er:

»Ich bin dir zu Dank verpflichtet, und du hast so eine eigene Art, dies für deine falsche Humanität nutzbar zu machen.30.2 [...] Du siehst wohl ein, daß mir deine Bitte außerordentlich unbequem sein muß!«

»Ich sehe es ein und werde dir ihre Erfüllung um so höher anrechnen.«

»Sprich nur nicht von Anrechnung! Deine Dankbarkeit wird einfach darin bestehen, daß du mir bei der nächsten Gelegenheit abermals in die Quere kommst. Da kenne ich dich. [...]«  ¶

(cont. of prec.)   [492f]


§ 65

¶  »[...] Die elf Soldaten des Sklavenjägers haben den Tod verdient, doch dieser Effendi [Kara Ben Nemsi] hat für sie gebeten, und Allah will ihnen Gelegenheit zur Besserung geben. Sie dürfen mit uns ziehen. Kämpfen sie tapfer an unserer Seite, so sei ihnen verziehen und sie mögen, wenn sie wollen, zu uns gehören; zeigt sich aber auch nur einer von ihnen ungehorsam, so werden alle erschossen. Sie mögen darum auf einander Achtung geben.«  ¶

Reïs Effendina   [499]


§ 66

¶  Der Türke [Murrad Nassyr] kam zum Emir, verbeugte sich und leistete den verlangten Schwur; dann gab er mir die Hand und sagte:

»Das habe ich nur dir zu verdanken und werde es dir nie vergessen. Ich schwöre dir, daß du deine Fürbitte 31 nie bereuen wirst!«  ¶

[ib.]

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der vollständigen und von Karl May autorisierten Buchausgabe von 1896 in allen Belangen getreue
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Autor:   Karl May
Titel:   Im Lande des Mahdi II

Zuerst erschienen:   1892/3
Quelle:   Haffmans Verlag 1996
Gelesen:   1998   (zum zweiten Mal, erstmals auf deutsch)
Diese Zitatensammlung zuerst erschienen:   Januar 2004




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