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§ 1

¶  Sollte dieser Mann vielleicht Abd el Barak sein?  Gewiß!  Er kam, um die Einnahmen der Kinder zu revidieren.  Ich horchte gespannt nach hinten; es war, als sagte mir eine Ahnung, daß ich jetzt gebraucht werde.  Ich fragte mich nicht, ob ich ein Recht oder gar eine Pflicht besäße, mich gegebenen Falls einzumischen; es war wie ein Naturgesetz in mir, dem ich mich zu überlassen hatte.  ¶

Kapitel 1  [Seite 49]


§ 2

¶  Was nun geschehen sollte, das fragte ich mich nicht; ich hatte gehandelt, wie der Augenblick es erforderte, und wie ich es für richtig und meiner würdig hielt; die Folgen mußte ich natürlich auf mich nehmen, doch war mir vor ihnen nicht allzu bange.  ¶

[53]


§ 3

¶  »Wer Heilung finden will, muß aufrichtig sein.«  ¶

Kara Ben Nemsi  [58]


§ 4

¶  »Hier bin ich nicht Mann, sondern Arzt.  Wer Hilfe finden will, darf sich nicht vor meinen Augen scheuen.«  ¶ 1

Kara Ben Nemsi  [ib.]


§ 5

Und so sind sie alle, diese unwissenden 2 Moslemim, deren Frömmigkeit sich meist nur im gedankenlosen Herleiern einiger Gebete bethätigt, verbissene und verständnislose Menschen, welche mit Verachtung selbst auf ihre Glaubensgenossen herabsehen, falls diese nicht Mitglieder einer Verbrüderung sind.  ¶

[89]


§ 6

Sein [Murad Nassyrs] Verhalten zu mir war ganz gewiß auch mit die Folge eines gewissen Wohlwollens; das gab ich gerne zu; der eigentliche Grund desselben lag aber sicher in einer selbstsüchtigen Berechnung, die ich ihm freilich nicht übelnehmen konnte, da wir Menschen ja alle 3 mehr oder weniger Egoisten sind, wie jeder Aufrichtige gestehen wird.  ¶

Kap. 2  [101]


§ 7

Man soll den Menschen nicht nach dem beurteilen, was er ist, sondern darnach, wie er es geworden ist, dann wird manche Härte sich in Milde verwandeln, aber auch leider ebenso oft die Hochachtung sich in ihr Gegenteil verkehren.

[123]


§ 8

¶  »Nun, es giebt Schriftsteller, welche sehr gute Bücher schreiben, ohne dazu gute Titel zu finden, und umgekehrt giebt es andere, deren Kopf voller vortrefflicher Titel steckt, ohne daß sie eine gescheite Seite fertig bringen.«

»Das mag sein.  Wie ist’s denn bei dir?«  

»Wir haben in Deutschland eine Redensart, welche lautet: Rede, wie dir der Schnabel gewachsen ist!  Verstehst du das?«

»Ja.  Man soll offen und natürlich sprechen.«

»Gerade so schreibe ich.«  ¶

Kara Ben Nemsi & Reïs Effendina  [129]


§ 9

¶  Er [Reïs Effendina] sah mich von der Seite so gutmütig pfiffig an, daß ich fühlte, ich müsse ihn rasch lieb haben können.  Er war kein bigotter Moslem; er besaß Lebhaftigkeit, Energie und Wohlwollen, wie ich beobachtet hatte.  Das war kein träger, stumpfsinniger Orientale,4 der sein Nichts für etwas hält und nichts von Etwas wissen will.  Ich wünschte wohl, die Reise mit ihm machen zu können.  ¶

[131]


§ 10

¶  »[...!]  Du brauchst dich nicht zu genieren.  Mein Nachbar hier ist mein Steuermann, und der Mann da mit der Peitsche mein Liebling, meine rechte Hand, welche alles thut, was ich befehle.  Schon mancher Sklavenhändler und Sklavenbesitzer hat es auf seinem Rücken gefühlt, daß diese meine Hand schnell, willig und stark genug ist, meinen Wahlspruch auszuführen: Wehe dem, der wehe thut!«  ¶

Reïs Effendina zu Kara Ben Nemsi  [135]


§ 11

¶  »So bist du nicht auch Mitglied der frommen Kadirine?« fragte ich ihn [den Reïs Effendina].  

»Nein.  Ich bin überhaupt nicht Mitglied einer Bruderschaft.  Muhammed war ein Prophet, und Johannes war ein Prophet.  Allah ist die Liebe und die Gerechtigkeit, und dein Gott ist Allah.  Wir Menschen sind alle Gottes Kinder; wir sollen einander lieben und gerecht gegen einander sein.  Ich preise meinen Glauben nicht und schände keinen andern; ich mag nicht bekehren und lasse mich nicht bekehren.  Meine Augen können nur das Irdische sehen und werden erst, wenn ich gestorben bin, das Himmlische erblicken.  Warum soll ich darüber streiten, wer Gott in der rechten Weise anbetet?  Wir sind eine einzige große Familie und haben einen einzigen Vater.  Jedes Kind hat seine besonderen Gaben und Eigenschaften und spricht in seiner besonderen Art und Weise mit dem Vater.   Gieb mir die Hand, Effendi!  Du bist ein Christ, und ich bin ein Moslem; aber wir sind Brüder und gehorchen unserm Vater, weil wir ihn lieben!«  

Er reichte mir seine Hand, und ich legte die meinige in dieselbe. 5

[135f]


§ 12

Man ist nicht Lehrer, nicht Missionar durch Worte allein; man lehrt auch durch die That; ja die That wirkt oft mächtiger als das Wort, und zuweilen ist auch das Schweigen eine That, wenn auch nur eine That, welche Aergernis verhindert.  ¶

[136]


§ 13

¶  »Also werden die Thäter bestraft werden?«  

»Natürlich!  Wehe dem, der wehe thut!«  ¶ 6

Kara Ben Nemsi & Reïs Effendina  [138]


§ 14

¶  Der »Liebling« 7 wußte schon, was er in einem solchen Falle zu thun hatte; er fragte nicht, nicht einmal durch einen Blick, sondern strich ihm im Gefühle seiner Majestät, oder kürzer deutsch gesagt, seiner Peitschenoberlehensherrlichkeit die Karbatsche zweimal in solcher Weise über den Rücken, daß der Alte gewiß nicht wieder aufzubegehren wagte.  ¶

[140]


§ 15

¶  »Schweig!« unterbrach er [Reïs Effendina] mich.  »Das verstehe ich besser als du. [...]«  

[...]  

»Still!« unterbrach er mich abermals.  »Ich weiß sehr wohl, was ich thue.  Wehe dem, der wehe thut!  Das ist der Grundsatz, nach welchem ich zu handeln pflege.« 8  ¶

[148]


§ 16

Tausend und noch mehr Fragen mußte ich ihm [dem Reïs Effendina] beantworten; er war ein sowohl körperlich wie auch geistig reich begabter Mensch und begriff sehr leicht.  Am leichtesten aber hatte er eingesehen, daß seine Kenntnisse sehr mangelhaft seien, natürlich dem Wissen eines Europäers gegenüber.  Bei dieser Armut an realem Wissen war es freilich kein Wunder, daß ich jede seiner Fragen zu beantworten vermochte, und so kam es, daß er mich, was ich leider nicht verdiente, für einen Ausbund von Klugheit und Gelehrsamkeit hielt.  Bei all dieser Hochachtung und den freundschaftlichen Gefühlen, welche er sichtlich für mich hegte, bewahrte er jene Zurückhaltung, welche dem Orientalen eigen ist, und die er seinem Range schuldig zu sein glaubte.

Kap. 3  [155f]


§ 17

Ich war schon jetzt, noch ehe ich den Grauschimmel sah, vollständig überzeugt, daß man ihn nicht richtig zu behandeln verstand.  Selbst der feurigste Araberhengst ist, wenn man ihn zu nehmen weiß, fromm wie ein Kind.  Warum sollte gerade dieser hier eine Ausnahme machen!  ¶

[172]


§ 18

¶  Der Blick, welchen der Stallmeister jetzt auf mich warf, war wirklich köstlich.  So mag ein Professor seine Quartaner ansehen, wenn es diesen einfallen sollte, ihn über die Art und Weise, wie man Kometen entdeckt, zu belehren.  Er brach in ein helles Gelächter aus und rief:  

»Falsch behandelt? 9  Wie meinst denn du, daß Pferde behandelt werden müssen?«  

»Als Freunde, aber nicht als Sklaven ihrer Reiter.  Das Roß ist das edelste Tier; es hat mehr Charakter als der Hund und der Elephant.  Läßt es sich zwingen, so taugt es nichts, denn es hat auf seinen Adel verzichtet und ist eine gemeine, ehrlose Kreatur geworden.10  Ein edles Pferd opfert sich auf; es sieht den sichern Tod vor Augen und sprengt ihm doch entgegen, um seinen Reiter zu retten.  Es hungert und dürstet mit seinem Herrn; es freut sich und grämt sich mit ihm, könnte man fast sagen, wenn das Tier menschlicher Regungen fähig wäre.  Es wacht für ihn, und wenn es eine Gefahr wittert, so zeigt es ihm dieselbe an.  Bete einem edlen Rosse seine Sure in das Ohr; rufe das Wort des ›Zeichens‹ aus, und es wird mit dir wie ein Wind davonfliegen und nicht innehalten, bis es tot zusammenbricht!«  ¶

[174]


§ 19

¶  »Um Allahs willen, was fällt dir ein!  Du würdest den Hals brechen!«  

[Kara Ben Nemsi:]  »Fällt mir nicht ein!  Es wird mir ein Vergnügen sein, dir zu beweisen, daß ihr dieses edle Pferd schlecht behandelt habt.11  Rufe deinen Sohn und die Reitknechte herbei, damit sie lernen, wie man es machen soll!«  ¶

[175]


§ 20

Während meine Hand nur niedliche Vertiefungen in dem Pillawberge zurückließ, riß der Haushofmeister ganze Gletscher, denen riesige Bergstürze folgten, los.  Weißglänzende Reis-Firnen und großblockige Fleischmoränen verschwanden hinter seinem mächtigen Gebisse.  Ich konnte nicht weiter essen, denn das Zusehen und Bewundern nahm meine ganze Thätigkeit in Anspruch.

[181]


§ 21

Das [die (von Kara Ben Nemsi als Medizin verordneten) tiefen Verbeugungen des dicken Vielessers 12] waren so unbeschreibliche Anstrengungen und Bewegungen, daß mir, obgleich ich mich hütete, laut zu lachen, die Thränen über die Wangen liefen, natürlich nicht diejenigen des Schmerzes und der Traurigkeit.  Das war die Strafe dafür, daß er mir in das Gesicht gesagt hatte, ich als Christ verschimpfiere das Zimmer mit den Kuransprüchen.  Aber, aufrichtig gestanden, hatte die Rachsucht weniger Teil daran als der angeborene Schabernack.  ¶

[182]


§ 22

Es stand zu erwarten, daß die andern 13 meiner Fährte folgen würden, und ich wollte sie äffen.

[200]


§ 23

[...]; hier aber war er [Selim] Gast, also ein Herr, welcher bedient wird.

[214]


§ 24

¶  Nun ging es über die gähnenden Spalten hinweg, wieder in einen engen Gang, welcher leider auch voller Fledermäuse hing.  Die Exkremente derselben bedeckten den Boden, über welchen wir mit den Händen krochen, und der Gestank wurde hier so abscheulich, so durchdringend, daß ich nahe daran war, dem Führer zu sagen, daß auch ich umkehren wolle.  Die Massen dieser Tiere wurden immer dichter, und der Gang verengte sich mehr und mehr.

Kap. 4  [226]


§ 25

Ein anderer wäre in diesem Falle verloren gewesen; ich aber besaß noch eine ganze Fackel und traute mir zu, in den Exkrementen der Fledermäuse 14 meine Spur und durch dieselbe den Weg ins Freie zu finden.  Das beruhigte mich. 15

[229]


§ 26

Der Führer hatte uns bis hierher begleitet.  Als ich Miene machte, ihm die ausbedungene Summe zu zahlen, wehrte er mit beiden Händen ab und sagte:  

»Willst du meine Seele beleidigen und mein Herz kränken?  Jeder Piaster, den du mir anbietest, muß die Freundschaft, welche ich für dich empfinde, mindern.  Behalte dein Geld, und denke so gern an mich, wie ich mich deiner erinnern werde, und wenn du aus dem Süden zurückkehrst, so vergiß nicht, mich aufzusuchen; denn es wird mir eine große Freude sein, dein Angesicht wiederzusehen.«  

Er reichte mir die Hand und entfernte sich.

[230f]


§ 27

¶  Er kam herein und setzte sich mir gegenüber, ohne meine Erlaubnis abzuwarten.  Das konnte mich gar nicht befremden.  Ein Fakir ist ein Mann, welcher allem Tande der Erde entsagt, um allein Gott zu loben; er wird zunächst als arm und sodann als heilig betrachtet, und kein guter Muhammedaner wird ihm die Erfüllung eines nicht ganz und gar unbilligen Wunsches versagen.  Es war daher ganz selbstverständlich, daß er gar nicht wartete, bis ich seine Bitte beantwortet hatte.  Ich erfüllte sie ihm übrigens von Herzen gern, weil der Eindruck, welchen er auf mich gemacht hatte, ein so günstiger gewesen war.

[232]


§ 28

Ich empfing ihn [den Fakir] in meiner Stube, wo ich mich mit ihm allein befand.  Er erlaubte es nicht, daß ich nach Pfeife und Kaffee für ihn rief, und gab als Grund dafür an:  

»Jeder Gläubige darf rauchen, denn Allah ist nachsichtig mit der Schwäche des Menschen; ein Strenggläubiger aber enthält sich des Tabakes.  Und da das Wasser des Niles meinen Durst stillt, so sehe ich nicht ein, weshalb ich Kaffee trinken soll.  Das Fasten ist meine Nahrung und das Gebet meine Speise.  Giebt es unter den Christen auch solche Leute?«  

»Ja, wir hatten und haben viele fromme Männer, welche den Freuden und Genüssen der Welt entsagten, um sich nur allein mit Gott zu beschäftigen.«  

»Wohl ihnen, denn je weiter die Seele sich von der Erde entfernt, desto näher ist ihr der Himmel.  Doch ich kam nicht, um mit dir solche Betrachtungen anzustellen, sondern um von den Königsgräbern zu sprechen.  Willst du sie noch sehen?«  ¶

[237]


§ 29

¶  »[...]  Wenn ich meine Hand über dich halte, können die Völker der Erde dir nichts anhaben, und so lange die Zärtlichkeit meines Auges auf dir weilt, leuchten dir tausend Sonnen des Wohlstandes und Millionen Sterne des Ueberflusses.  Ich bin der Beschützer aller Beschützer und Beschützten.  Meine Macht ist wie – – – «  

»Wie nichts, wie gar nichts!« unterbrach ich ihn [Selim].

[240]


§ 30

¶  Wahrhaftig, es standen ihm [Selim] die Thränen in den Augen!  Hatte dieser sonderbare Mensch mich wirklich so lieb?  War das Prahlen ihm so zur zweiten Natur geworden, daß er es nun nicht lassen konnte, daß es ihm nun ganz unmöglich war, einzusehen, daß er nur Unsinn redete? 16  Ich erinnerte ihn in freundlicherer Weise:  

»Aber, Selim, denke doch an gestern zurück!  Welches Geständnis hast du mir denn gemacht, als ich dir die hundert Piaster zurückgab?«  

»Ein Geständnis?  Ich weiß von nichts,« antwortete er im Tone der Wahrheit, der vollsten Ueberzeugung.  ¶

[ib.]


§ 31

¶  »Du weißt schon, was ich dir sagen will.«  

»Ich weiß es.  Jenes Fenster hat es mir verraten.  Ich bin ein Mensch wie jeder andere, und nur Gott ist allwissend, wie du ganz richtig sagtest.  Als ich erwachte, hörte ich dich draußen mit meinem Gastfreunde sprechen.  Du siehst, daß ich keineswegs die Vorzüge besitze, welche er mir andichtete.«  

»Du besitzest vor allen Dingen den seltenen Vorzug der Bescheidenheit, Effendi.  Ja, kein Mensch kann wissen, was Allah weiß; aber es giebt heilige Männer und Zauberer, denen Allah vieles mitteilt, was andere nicht erfahren.  Wärest du nicht so aufrichtig gewesen, wegen dieses Fensters mit mir zu reden, so hätte ich dich für einen Heiligen gehalten.  Das konntest du dir zu nutze machen.  Indem du darauf verzichtest, giebst du mir den Beweis, daß du ein ehrlicher Mann bist, dem ich mein Vertrauen schenken kann, und das ist noch mehr wert, als wenn ich dich für einen Zauberer gehalten hätte. [...]«  ¶

Ben Wasak & Kara Ben Nemsi  [259f]


§ 32

¶  Als wir uns ihm [dem Fakir] genug genähert hatten, sah ich, daß er seine Lippen im Gespräch mit Allah bewegte; auf seinem Gesichte lag der Ausdruck reinster, religiöser Verzückung.  Nein, dieses Gesicht konnte nicht lügen.  Der Mann, welcher dem Grabe so nahe stand, daß jeder Augenblick ihn hineinstoßen konnte, sollte ein Freund von Verbrechern sein?  Unmöglich, ganz unmöglich!  Ich empfand in diesem Augenblicke das festeste, das innigste Vertrauen zu ihm.  

[...?]  Ich hatte jetzt gegen den Fakir einen, wenn auch nicht bestimmten Verdacht gefaßt.  Seit seiner letzten Rede war ich überzeugt, daß sein frommes Gesicht eine Lüge sei.  Es konnte mir ja wohl sehr gleichgültig sein, ob es unter den muhammedanischen Fakirs einen Heuchler mehr oder weniger gebe, aber wer sich auf diese Weise zu verstellen vermochte, der war nicht nur ein Heuchler, sondern wohl gar ein gefährlicher Mensch. 17

[257 + 282]


§ 33

¶  »Wo haben diese Mumien, als sie noch lebten, ihre Gedanken gehabt!  Konnten sie uns nicht die Wohlthat einer bequemen Treppe erweisen?  Eine Leiter wenigstens wird es doch geben?«  ¶

Selim  [286]


§ 34

¶  [Selim:]  »So glaubst du, daß wir uns retten werden?«  

[Kara Ben Nemsi:]  »Ich habe noch keinen Augenblick daran gezweifelt.  Hinaus müssen wir auf alle Fälle, wenn nicht hier dann anderswo.  Dieser Fakir ist nicht der Mann, uns hier festzuhalten.  Er ahnt nicht, welche Mittel einem denkenden und energischen Manne zu Gebote stehen.18  Grabe weiter!«  

»Ja, grabt, grabt; ich will beten!« bat Ben Nil.

[304]


§ 35

¶  »Aber du bist doch arm!«  

»Du irrst.  In meinem Glauben bin ich reich.  Ich tausche mit keinem Menschen.«  ¶

Murad Nassyr & Kara Ben Nemsi, Kap. 5  [325]


§ 36

¶  »Es freut mich, daß du mich für einen mutigen Mann hältst; aber es freut mich ganz und gar nicht, daß du mich zugleich für fähig hältst, meinen Mut auf einem solchen Felde in Anwendung zu bringen.  Die Sklaverei ist eine Schande für die gegenwärtige Menschheit, und die Sklavenjagd ist ein Verbrechen, welches zum Himmel schreit.  Ich würde selbst eine kleine Sünde wissentlich nicht um vieles Geld begehen, um wie viel weniger werde ich diese Schande und solche Blutthaten auf mein Gewissen laden.  Wie du einem Christen, und zudem mir, einen solchen Antrag stellen konntest, das ist mir unbegreiflich.«  

[...]  

»Bedenke den Gewinn!«  

»Ein ruhiges Gewissen ist mir lieber.«  ¶

Kara Ben Nemsi & Murad Nassyr  [335]


§ 37

[Ich] verließ dann stolz zu Fuß Korosko, während meine Diener auf ihren prächtigen Tieren thronten.  Würde in Deutschland jemand einem Fremden zwei solche Kamele geliehen haben?  ¶

[357]


§ 38

¶  Und weiter ging es, immer weiter.  Die vier Kamele warfen die langen Beine ohne Ermüden vorwärts; es waren wirklich ausgezeichnete Tiere.  Wenn nur die drei Reiter ebenso ausdauernd gewesen wären.  Von Selim war gar nicht zu reden; er war ein Schwächling in jeder Beziehung; die beiden andern hatten Charakter, aber sie waren die Wüste 19 nicht gewöhnt und mußten sich zu sehr anstrengen.  Sie sprachen kein Wort und folgten mir, weil sie mir folgen mußten.  

Ich will nicht sagen, daß dieser Ritt mir leicht geworden sei, o nein.  Auch ich empfand die entsetzliche Hitze, welche mein Gesicht verbrannte, so daß an mehreren Stellen, auch an den Händen, die Haut sich löste; aber wir hatten eben ein Ziel vor uns und mußten es unbedingt erreichen.  Hat der Mensch einmal ein Muß erkannt, so soll er alle Kräfte einsetzen, demselben gerecht zu werden.  ¶

[372]


§ 39

[...] dann sahen wir nach dem Wasser.  Es hatte sich während der Nacht so viel gesammelt, daß wir wieder zwei Schläuche füllen konnten; das alte Wasser bekamen die Kamele.  Dann aßen wir einen Brei, welcher aus Durrhamehl, in kaltem Wasser eingerührt, bestand.  Der ärmste deutsche Bettler würde diese Speise für ungenießbar erklären; die Wüste 20 aber nimmt keine Rücksicht auf den verwöhnten Gaumen eines Menschen.  ¶

[376]


§ 40

¶  »Wenn sie dann kommen, sind sie höchstwahrscheinlich viele Köpfe stark, während wir nur vier Männer sind.  Ich fürchte mich zwar nicht, aber es ist besser, für irgend einen guten Zweck zu leben als für denselben zu sterben.  Wir würden also einen Kampf nicht aufnehmen, sondern uns schnell, ehe sie uns bemerkt hätten, zurückziehen.«  ¶

Kara Ben Nemsi  [ib.]


§ 41

¶  Diese Worte bestätigten auf das Genaueste meine Vermutungen.  Gegen sechzig Sklavinnen!  Und darüber ging der alte Fakir mit der größten Ruhe hinweg.  Wie hatte mir in Maabdah und Siut sein ehrwürdiges Gesicht gefallen.  Er wurde als Heiliger verehrt und war doch ein Scheusal.  Ein Fakir, ein Marabut, und doch billigte er ohne den geringsten Vorbehalt den Raub von sechzig Muhammedanerinnen!  Da steckte ein Teufel in der Maske eines Heiligen.  ¶ 21

Kap. 6  [424]


§ 42

¶  »[...]  Der Kerl [Kara Ben Nemsi] ist ein Hund, ein Christ, aber er würde lieber sterben als stehlen.  Ich halte ihn sogar für einen Menschen, welcher lieber hundert Piaster giebt, als daß er sich einen ohne Gegenleistung schenken läßt. [...]«  ¶

Murad Nassyr  [426]


§ 43

¶  »Du begiebst dich schon wieder in Gefahr, Effendi,« meinte er.  »Nimm mich doch lieber mit!«  

»Nein; ich bin allein viel sicherer als in Begleitung anderer; aber wenn ich pfeife, mußt du dich beeilen.«  ¶

Ben Nil & Kara Ben Nemsi  [440]


§ 44

¶  Inzwischen hatte sich der Mokkadem wieder aufgerafft und das Messer gezogen.  Er drang mit demselben auf mich ein.  Was hinderte mich, diesen Menschen niederzuschießen?  Ich that es nicht, sondern parierte seinen Stoß durch einen von unten herauf gegen seinen Ellbogen geführten Hieb, wodurch ihm das Messer aus der Hand geschleudert wurde; dann warf ich ihn nieder und drückte ihm mit beiden Händen die Kehle zusammen.

[448f]


§ 45

¶  »[...]  Aber es wird Blut kosten!«  

[Kara Ben Nemsi:]  »Wahrscheinlich; aber eine Wahrscheinlichkeit ist noch keine Gewißheit, keine Notwendigkeit.  Man darf sich nicht immer nach den gegebenen Verhältnissen richten, sondern man muß suchen, dieselben zu beherrschen, sie zum eigenen Vorteile umzuändern.«  ¶

[454]


§ 46

Da ich gewohnt war, mich mehr auf mich selbst als auf andere zu verlassen, so stieg ich zu ihm hinauf [...]

[460]


§ 47

¶  »Fünfzig gegen dich, das ist zu viel!«  

[Kara Ben Nemsi:]  »Es ist besser, ein einzelner wagt etwas, als daß beim Ueberfalle viele getötet werden.«  

»Aber wenn dieser einzelne derjenige ist, dessen Kopf und Arme die andern brauchen, so ist es besser, es unterbleibt.«  

»Das mag wahr sein; aber ich habe stets Glück 21.2 gehabt und hoffe, daß ich es auch heute haben werde.«  ¶

[468]


§ 48

¶  »Das ist wahr; du beruhigst mich, Effendi.  Thue, was dir beliebt; ich habe nun nichts mehr dagegen, denn ich weiß, daß du doch auf meine Warnungen nicht hörst.«  

[Kara Ben Nemsi:]  »Ich bin für jede begründete Warnung dankbar; aber die deinige ist so allgemein und unbestimmt, daß ich sie unmöglich gelten lassen kann.  Uebrigens stürze ich mich nicht etwa kopfüber in die Gefahr, sondern ich gehe ihr mit vollem Bedachte entgegen; das vermindert ihre Größe und vermehrt meine Sicherheit.«  ¶

[469f]


§ 49

¶  Man meint, daß solche oder ähnliche Scenen nur in Romanen vorkommen können; das ist sehr richtig, denn – – das Leben ist der fruchtbarste und phantasiereichste Romanschreiber, welcher nicht, um eine unmögliche Situation zu ersinnen, ein dutzend Gänsefedern zerkauen muß.

[477]


§ 50

¶  »Welch eine List, Effendi!  Jetzt glaube ich, daß du dich vor keinem Feinde zu fürchten brauchst.  Deine Verschlagenheit ist noch viel größer als deine Tapferkeit.  Ich bin überzeugt, daß wir allen Gefahren gewachsen sind.«  ¶

Ben Nil zu Kara Ben Nemsi  [484]


§ 51

¶  »So hast du mir also das Leben abermals gerettet, und meine Schuld wird immer größer.  Was gedenkst du nun zu thun?  Bist du noch immer entschlossen, die Mörder mit List zu behandeln? 22  Wäre es nicht besser, sie zu überfallen und einfach niederzuschießen oder zu erstechen?  Wir werden mit ihnen fertig sein, ehe sie Zeit zur Gegenwehr gefunden haben.«  

»Das mag sein; aber ich morde nicht.  Es ist bis jetzt so gut gegangen, daß ich gar keinen Grund habe, mich plötzlich anders zu entschließen.  Nun der Anführer sich in unserer Gewalt befindet, werden wir auch die andern bekommen.«  ¶

Ben Nil & Kara Ben Nemsi  [495]


§ 52

¶  »Wenn ich dir glauben soll, so schwöre bei dem Barte des Propheten!«  

[Kara Ben Nemsi:]  »Das thue ich nicht, denn ich bin ein Christ und schwöre 23 nicht.«  ¶

[501]


§ 53

¶  »[...]  Kerl, bitte doch Allah, daß er dir, wenn auch nur ein allereinziges Mal in deinem ganzen Leben, einen Gedanken schenke, welcher wenigstens nicht ganz und gar verkehrt ist.  Die Gefangenen sind fort?«  ¶

Kara Ben Nemsi zu Selim  [512]


§ 54

¶  »[...]  Nun sage mir, was ich thun soll!  Soll ich die Sklavenjäger angreifen, um sie zu überwinden?«  

»Nein, nein!  Am besten ist’s, du thust gar nichts; dann sind wir am sichersten vor dir.  [...]  Steig also wieder hinauf, und setz dich zu den Wächtern der Kamele!  Ich möchte nur wissen, welch unglückliches Zeichen am Tage deiner Geburt am Himmel gestanden hat!«  

»Ich bin im Zeichen ›es Saba‹ [24 Des Löwen.] geboren, Effendi.«  

»Nein, nein, sondern wahrscheinlich im Zeichen ›es Saratan‹ [Des Krebses.].  Darum wiederhole ich: Lauf’ rückwärts, und mach’, daß du zu den Kamelen kommst.  Hoffentlich wirst du ihnen nicht auch Unglück bringen.«  

Er wollte mir widersprechen, doch ging ich fort und ließ ihn stehen. 25

Selim & Kara Ben Nemsi  [514f]


§ 55

Ich überließ die Erzählung den beiden andern, und ich kann sagen, daß sie von meinem Lobe so überflossen, daß ich ihnen oft Einhalt thun mußte.  

Es verging fast eine Stunde, ehe sie alles erzählt hatten; denn sie thaten das mit der Gründlichkeit des Orientalen, für welchen die Zeit wenig oder gar keinen Wert besitzt.  Endlich hatte er [Reïs Effendina] alles bis auf das Kleinste und Unbedeutendste erfahren.

[533]


§ 56

Ich kam gerade zur rechten Zeit oben an, um sehen zu können, daß ein Mann sein Kamel bestieg und davonritt.  Er hatte einen reinen, weißen Burnus an, und sein Tier war auch von weißer Farbe.  Gern hätte ich es niedergeschossen, um des Reiters habhaft zu werden, aber mein Kennerauge machte mir einen Strich durch die Rechnung.  Als es auf das Kamel fiel und die Formen und Bewegungen des Tieres erblickte, fühlte ich mich so enthusiasmiert, daß ich das Schießen vergaß.  Ja, das war ein Hedschihn!  Zehn vom Werte des meinigen wogen es nicht auf!  Ich stand mit angelegtem Gewehre da, und als ich meiner Bewunderung Meister geworden war, hatte es spielend schon eine solche Strecke zurückgelegt, daß meine Kugel es nicht mehr erreichen konnte.  Der Reiter drehte sich um und schwang sein Gewehr höhnisch gegen mich.  ¶

[537]


§ 57

¶  »Soll ich mich bei keinem höheren Beamten erkundigen?«  

»Nein, denn ich werde bei keinem vorsprechen.  Da ich ungewöhnliche Vollmachten besitze, bin ich diesen Leuten unangenehm.  Ich pflege mich auf mich selbst zu verlassen, ganz so wie du.  Ich weiß von dir, daß du dich auch nur gezwungenermaßen an einen Vertreter deines Landes wendest.«  

Da hatte er freilich sehr recht.  Zu dem, was man selbst thun kann, soll man keine Unterstützung fordern.

Kara Ben Nemsi & Reïs Effendina  [541]

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Sie können den gesamten Roman lesen:
der vollständigen und von Karl May autorisierten Buchausgabe von 1896 in allen Belangen getreue
online-Ausgabe  von Im Lande des Mahdi I
finden Sie auf den Webseiten der Karl-May-Gesellschaft (1104 KB).




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Autor:   Karl May
Titel:   Im Lande des Mahdi I

Zuerst erschienen:   1891/2
Quelle:   Haffmans Verlag 1996
Gelesen:   1998   (zum zweiten Mal, erstmals auf deutsch)
Diese Zitatensammlung zuerst erschienen:   1998/9
Neu erfasst für www:   Dezember 2000




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